Michi
Huaraz 4
Es ist wieder viel geschehen, ich habe sehr viel erlebt und viel gesehen. Grund genug, ausfuehrlich darueber zu berichten. Sieben Tage Trekking in der Cordillera “Why Wash?” – beruehmt durch Joe Simpsons Buch “Sturz ins Leere” – standen auf dem Programm. Dieser Trek gilt als einer der besten Treks weltweit und soll laut manchen Trekkern selbst Nepal in den Schatten stellen. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Ueberfaellen auf Touristen, manche mussten mit dem Leben bezahlen. Klingt abenteuerlich gut! Fuer Peru untypisch: Wir schleppten all unser Hab und Gut selbst, nix von wegen Esel.
Tag 1 – Frueh ging unser Bus – fast schon zu frueh, denn da der Edgar bei mir im Hostal uebernachtete, wurde nichts mit Schlafen. Mit den zwei franzoesischen Freigeistern in meinem Dormitory wurde bis tief in die Nacht gefreigeistert. Haette uns der Stefan nicht aufgeweckt, haetten wir mit Sicherheit den Bus um fuenf Uhr verpasst. Etliche Stunden mussten wir busfahrend verbringen, um in diese entlegene Region zu kommen. Letztendlich wurde noch ein Pass bewaeltigt, am Abend gab es frische Forelle mit Puré und geschlafen wurde vor atemberaubender Bergkulisse.
Tag 2 – Der zu bewaeltigende Pass war relativ leicht. Ein Junge wollte uns mitten im Nirgendwo fuer umgerechnet 50 Cent das Stueck frisch gefangene Forelle verkaufen, doch seine Mutter verlangte zubereitet mit ein paar Kartoffeln knapp zwei Euro, was uns zu teuer war – dort ist Geld nichts wert, Essen dagegen schon. Ausserdem mussten wir einer Attacke von drei klaeffenden Dreckskoetern Stand halten. Geschlafen wurde vor noch atemberaubender Bergkulisse. Lediglich riesige Eislawinen, die von den 6000 Meter hohen Bergen in die Tiefe stuerzten, stoerten unseren wohlverdienten Schlaf.
Tag 3 – Der Blick von dem etwa 4800 Meter hohen Pass war ueberwaeltigend! Beim Abstieg Richtung Huayhuash – das namengebende Dorf, das lediglich aus zwei Huetten besteht – trafen wir einen kleinen Hirtenjungen: “Invitame a un chocolate.” Er wollte etwas Suesses zum Naschen. Wir wollten Fotos. So schnell kommt man ins Geschaeft in Peru! Bis jetzt blieben wir von den gefuerchteten Banditen verschont.
Tag 4 – Anstrengend sollte es am vierten Tag werden, den zwei ueber 5000 Meter hohe Paesse mussten ueberwunden werden. Der Blick vom zweiten Pass auf die schnee- und eisbedeckten Bergriesen kann als eines der vielen Hoehepunkte dieses unvergesslichen Abenteuers bezeichnet werden. Geschlafen wurde ganz in der Naehe der Westwand des Siula Grandes, die dem britschen Bergsteiger Joe Simpson im Jahre 1985 fast zum Verhaengnis wurde. Beim Abstieg brach er sich ein Bein, sein Partner Simon Yates war schliesslich gezwungen, das Seil zu zerschneiden. Simpson fiel in eine Gletscherspalte. Der Beginn einer spektakulaeren Selbstrettungsaktion. Gegen Ende des Tages teilte uns der Edgar mit, dass er den Trek in Huayllapa beenden moechte, da er zu viel fuer zu wenig Geld arbeitet. Wir zahlten 100 Dollar pro Person fuer sieben Tage Trekking mit Verpflegung. Jetzt wollte er 50 Dollar mehr pro Person, um den Trek zu vollenden. Eigentlich ein Vertragsbruch, bloed nur, dass wir ihm vertraut haben und auf einen Vertrag verzichteten. Von jetzt an standen wir mit ihm auf Kriegsfuss, nur weil dieser Trottel seine noch verbleibenden Gehirnzellen versaeuft und verkifft und nicht kalkulieren kann und in den seltenen Momenten der geistigen Klarheit zu tiefst ungluecklich ist, da er merkt, dass sein Verdienst wieder nur fuer Marihuana, Alkohol und Nutten reicht.
Tag 5 – In aller Fruehe ging es die Gletschermoraenen hinauf zum Fusse des Yerupajá, um einen Blick auf die zuvor beschriebene Westwand des Siula Grandes werfen zu koennen. Beim Abstieg nach Huayllapa haben wir mit Hilfe meines Buches die Stelle gefunden, wo die beiden Briten vor 23 Jahren ihr Base Camp hatten. Zeit fuer Fotos! Spaeter haben wir noch die Mutter des Mulitreibers von Joe Simpson kennengelernt, von der wir leckeren Frischkaese kaufen konnten. In dem Buch sind ihre Tochter und ihre Nichte abgebildet. Sie hat das Foto gekuesst. Ein toller Moment! Zwischenzeitlich haben wir uns dazu entschieden, nachzugeben und dem Edgar 20 Dollar pro Person mehr zu geben, die wir vom Trinkgeld abzogen. Kurz nicht aufgepasst hat es mich auf einem leichten Wanderweg mit vollem Karacho mit der Fresse voraus nach allen Regeln der Kunst auf einen Stein gelassen – ohne dass ich mich mit den Haenden abstuezen haette koennen. Geschlafen wurde in Huayllapa auf dem Fussballplatz. Die einheimischen Kinder haben uns geholfen, unsere Zelte aufzubauen und wollten natuerlich wieder einmal “Caramelo” von uns Gringos.
Tag 6 – Es ging steil bergauf! Zwischenzeitlich fing der Edgar fast schon zu sprinten an, ich bin mitgezogen, weshalb wir fix und fertig eine Pause brauchten. Diese nutzte der Edgar um sich erst einmal eine ganze Flasche Rum reinzupfeiffen. Ich diskutierte mit ihm ueber Politik, Krieg, Frauen, Liebe, pipapo und er wurde uns dank seinen radikalen Ansichten immer unsympathischer. Trotzdem verbrachten wir einen netten Abend bei traditionell lebenden Freunden von ihm in deren rustikalen Huette – ohne Strom, ohne Fliessendwasser und ohne Internet, dafuer mit 90%igem Zuckerrohrschnaps im heissen Tee, der mich verruecktes Zeugs traeumen liess: “Wir sind eine Malerfamilie, doch kuessen muss man dich so.”
Tag 7 – Kassiererlieder singend, sich ueber Goassnmass unterhaltend und auf bayrisch fluchend – wir hatten wohl zu wenig geschlafen – ging es zurueck in die Zivilisation. Die Banditen liesen uns am Leben. Trinkgeld gab es keines fuer den Edgar, dafuer haben wir ihn am Abend auf ein – jetzt haltet euch fest – Erdinger Weissbier aus einem Erdinger Weissbierglas eingeladen – fuer umgerechnet drei Euro. Danach trennten wir uns von ihm. Nach einem einstuendigen Besuch im Internetcafé mit vielen Neuigkeiten aus Nah und Fern ging es in eine Boazn aus der Guns N’ Roses in voller Lautstaerke ballerte – noch beim Wandern in der Frueh habe ich mir Guns N’ Roses zu hoeren gewuenscht und auf meinem Wanderstock auf einem Felsen vor 6000ern posierend saemtliche Slashsolos fehlerfrei gezockt. Natuerlich trafen wir dort wieder den Edgar und lernten noch zwei Freunde von ihm kennen. Pitcher wurden getrunken! Zuerst einer mit Pisco, dann einige mit Vodka. Danach gingen wir in einen Club. Nach einem Long Island Ice Tea nahmen die Dinge wie gewohnt ihren Lauf und den Peruanern wurde wieder einmal gezeigt, was es heisst, das Tanzbein zu schwingen – kaum zu glauben, wie gut man mit FlipFlops abspacken kann. Gross! Auf eine Dusche zwischen Trekking und Clubbing wurde selbstverstaendlich verzichtet. Why wash?
Die Zeit in Huaraz war der absolute Wahnsinn, doch irgendwann muss der Bayer auf Reisen weiterziehen. Heute Abend fahre ich mit dem Stefan ueber Nacht nach Trujillo und ein paar Tage spaeter moechte ich in Ecuador sein. Bleibt lediglich noch zu erwaehnen, dass ich vor einiger Zeit die peruanische Spezialitaet schlechthin probiert habe: Meerschweinchen.